Bereits zum fünften Male machte sich eine kleine, aber feine Gruppe von knapp 30 Mitgliedern und Sympathisanten des Zürcher Kirchenmusikerverbandes auf die Reise unter kundiger Leitung von Matthias Wamser. Nach Zielen in Italien, Deutschland und Rumänien sollte uns die Reise nun auf die Insel Mallorca führen, die man in orgelferneren Kreisen eher für Badetourismus und Komasaufen kennt. Belustigt stellten wir am Abend unserer Ankunft fest, dass unser Hotel an der Playa de Palma mitten im Herzen der Ausgangsmeile, zwischen Bierkönig und Balneario 6 (dem berüchtigten Ballermann) lag. Nichtsdestotrotz erwies sich unsere Unterkunft als ruhig und strategisch für unsere vielen Ausflüge per Reisecar sehr gut gelegen. Diese Reise sollte für viele Teilnehmer neue Welten erschliessen: Nicht nur die der fantastischen Instrumente aus ferner Zeit…
Am Montagmorgen nahm uns Miquel Benàssar, der mallorquinische Organist, der uns die ganze Woche begleiten sollte, in Sa Pobla in Empfang. Benàssar ist spezialisiert auf die Erforschung und Interpretation der alten iberischen Musik und ihrer Orgeln. Da er während sechs Jahren an der Schola Cantorum in Basel studiert hatte, konnte er die Orgelführungen mühelos auf Deutsch halten.
Die Orgel der Pfarrkirche in Sa Pobla stammt aus dem Jahre 1717, gebaut von Damià Caymari. Die Familien Caymari und Bosch sind die beiden wichtigsten Vertreter des Orgelbaus auf Mallorca. Im Gegensatz zur spanischen Orgel sind die katalanischen Orgeln (Mallorca gehört zum Kulturraum Katalonien) bereits im 17. Jahrhundert ziemlich gross angelegt. Es gibt bereits 3-manualige Instrumente. Während Caymari die Orgel von Sa Pobla nach Klangvorstellungen der Renaissance konzipierte, hat die Familie Bosch modernere Instrumente gebaut. Beispielsweise sind bei Bosch die Mixturen viel stärker als bei Caymari, wo sie sich in den vokalen Klang der Instrumente sanft einfügen.
In Sa Pobla nimmt uns die Orgel mit ihren edlen, klaren Klängen sofort in ihren Bann. Es erstaunt, wie schlank der Klang bliebt, auch wenn Aliquoten und Mixturen dazu kommen. Richtig laut wird es erst mit den Zungenregistern, den archetypischen spanischen Trompeten, oder wie uns Benàssar belehrt, iberischen Trompeten. Diese für uns so typisch spanischen Zungenregister wurden allerdings erst im 18. Jahrhundert (dafür in fast alle grösseren Orgeln) eingebaut. Die Trompetenbatterie von 16’ bis 2’ schmettert uns geradewegs zur Kirche hinaus.
Weiter geht es in Pollença mit der Orgel von Lluis Navarro von 1732. In der Klosterkirche Sant Domingo finden keine Gottesdienste mehr statt. Sie wird als Kulturzentrum betrieben. Die wunderschöne Orgel kommt leider nur selten zum Einsatz. Hier haben einige von uns erstmals die Gelegenheit, selber Hand anzulegen. Was für eine Offenbarung, wenn man die Musik von Cabezon, Correa di Arauxo, Cabanilles, Bruna usw. erstmals auf einem originalen Instrument spielen kann! Dank kurzer Oktave und Manualteilung bei c’-cis’ ist sie viel einfacher spielbar als auf unseren Orgeln, wo man zweimanualig spielen und mit dem Pedal aushelfen muss, weil die linke Hand die grossen Intervalle nicht greifen kann. Aber nicht nur die technischen Aspekte erschliessen sich hier wie von selbst, auch der Klang und die Stimmung der Instrumente machen den Notentext plötzlich viel verständlicher.
Die Orgelsituation in Mallorca ist ideal, um sich auf kleinem Raum in relativ kurzer Zeit einen guten Überblick über die Besonderheiten der iberischen Orgellandschaft zu verschaffen. Einerseits sind viele alte Instrumente gut erhalten geblieben, da Mallorca weniger als das spanische Festland in Bürgerkriege verwickelt war. Andererseits haben die finanziellen Mittel, die der Tourismus mit sich brachte, dafür gesorgt, dass die Instrumente sorgfältig restauriert werden konnten.
In Sencelles begegneten wir am Dienstag erstmals einer Orgel der Familie Bosch von 1746. Schon optisch unterscheidet sich diese Orgel von den bisher besuchten mit hell bemalten und oft mit Gold verzierten Orgelprospekten. Auch steht diese Orgel auf der rückwärtigen Empore und nicht auf der Seite. Sie hat einen Prospekt aus kunstvoll geschnitztem dunklem Holz und verzierte Prospektpfeifen.
Ein Höhepunkt unserer Reise erwartete uns am Mittwoch. Frühmorgens fuhren wir mit der Fähre auf die kleinere Nachbarinsel Menorca um in ihrer Hauptstadt Mao/Mahon die Orgel zweier Solothurner Orgelbauer, Johannes Kyburz und Franz Josef Otter, zu besichtigen. Es handelt sich um ein grosses, dreimanualiges Instrument von 1810. Es verbindet deutsche, französische und spanische Orgelbaukunst und verfügt über einen prächtigen Prospekt und wunderbare romantische Klangfarben. Leider liess uns der ortsansässige Organist, der das Instrument in einem Mittagskonzert präsentierte, kaum Zeit, in diesen Klängen zu baden, da er in rasantem Tempo und wenig artikuliert spielte. Zum Glück konnte uns Matthias Wamser anschliessend noch einige Solostimmen wie die Flauta Suiza, Cornete inglesa, Cromorno und Oboe zeigen. Ein wirklich bezauberndes Instrument, für das sich die lange Reise gelohnt hatte! Das anschliessende gemeinsame Mittagessen im wunderschönen Innenhof eines kleinen Hotels in malerischer Kulisse unter Orangenbäumen schmeckte vorzüglich und bot Gelegenheit zu sehr gemütlichem Beisammensein in der ganzen Gruppe.
Den Donnerstag verbrachten wir in Mallorcas Hauptstadt Palma mit nur einer, dafür einer sehr grossen Orgel auf dem Programm. Dies wiederum ein Instrument von Caymari in der Klosterkirche La mare de Deu dels socors. Die eindrückliche Kathedrale von Palma konnten wir nicht nur von innen, sondern auch per Rooftop-Führung kennenlernen.
Der letzte Tag war noch einmal ziemlich orgelintensiv mit einer Caymari-Orgel in Petra, der Orgel von Gabriel Tomàs in Campos und als krönender Abschluss Santanyì mit seiner monumentalen Orgel von Jordi Bosch von 1762. Diese Orgel hat mit ihrer reich bestückten Horizontal-Trompeteria, 22-25 fachen Lleno (Mixtur) und 10facher Corneta eine unglaubliche Klangfülle. Der Prospekt wirkt wie ein verwunschenes Piratenschiff. Die Orgel eignet sich gut zur Darstellung der Musik des galanten Stils, aber auch die alten spanischen Meister klingen darauf hervorragend. Hier hatten auch noch einmal viele Reiseteilnehmer die Gelegenheit, die Orgel zu erproben.
Unser Reiseleiter Matthias Wamser hat unser Programm mit viel Bedacht zusammengestellt; neben den zwei bis drei Orgeln pro Tag führte unser Weg auch an malerischen alten Klöstern, hübschen Städtchen und atemberaubenden Aussichtspunkten vorbei. So lernten wir im Vorbeiweg viel über Land und Leute. Auch für ein erfrischendes Bad im Meer oder Spaziergänge am Strand blieb Zeit. Und als Ausgleich zu den aparten Orgeln und den hochstehenden musikalischen Leckerbissen, konnte man sich im Bierkönig an der Schinkenstrasse ein Bild darüber verschaffen, wie man Ferien auch verbringen könnte…. Für uns einigermassen befremdlich, aber auch sehr unterhaltsam.
Gerda Dillmann